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Aus der Heftserie "Zwei Munitionsfabriken im Wolfratsauser Forst


Heft 7.1 "Warum die Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst errichtet wurden"


Die geheime Schokofabrik

Geretsried - Mit „Zwei Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst“ begann 1937 die Geschichte der Stadt. In einem gleichnamigen Geretsrieder Heft des Arbeitskreises Historisches Geretsried (AHG) dokumentiert Martin Walter die Entstehung der Rüstungswerke. Die 90-seitige, reich bebilderte Broschüre bildet den Auftakt einer achteiligen Reihe und ist ab sofort erhältlich.


Der 74-jährige Martin Walter verbrachte sein gesamtes berufliches Leben bei der Stadt. Er war Bauamtsleiter und geschäftsleitender Beamter. Aus dieser Zeit, aber auch von seinem Vater Emil Walter, der während des Kriegs Werkmeister in einer Munitionsfabrik war, wusste er bereits sehr viel über die Geschichte Geretsrieds. Als Mitglied des AHG befasste sich Walter in den vergangenen Jahren detailliert mit der Entstehung, dem Betrieb und der Demontage der beiden Rüstungswerke. Seine Recherchen sind nun in dem ersten von acht Heften zusammengefasst, das Walter am Montagabend in der Mensa des Gymnasiums vorstellte. Der kürzlich verstorbene Franz Rudolf hat den Autor tatkräftig unterstützt, Harald Zelfel hat das Heft gestaltet.


Wie gründlich sich der ehemalige Bauamtsleiter in die Materie vertieft hat, wird deutlich an seiner Aufdröselung des undurchsichtigen Geflechts an Firmen, die an Finanzierung, Bau und Unterhalt der beiden Munitionsfabriken beteiligt waren. So war die Tarnfirma der Wehrmacht, die Montan, die Bauherrin. Die Dynamit Aktiengesellschaft (DAG) und die WASAG, ein weiterer Sprengstoffhersteller, waren Planer und Auftraggeber. Die Verwertchemie und die Deutsche Sprengchemie (DSC) bauten und betrieben die beiden Werke sowie die Belegschaftsunterkünfte.


Warum der Wolfratshauser Staatsforst – das heutige Geretsried – als Standort ausgewählt wurde und welche Rolle der von der NSDAP eingesetzte Wolfratshauser Bürgermeister Heinrich Jost dabei spielte, erklärt Walter ebenfalls sehr ausführlich. Nachdem Jost dem Ministerialdirigenten Dr. Erich Gritzbach, Görings rechter Hand im Wehrwirtschaftsministerium, ein Wochenendhaus in Ebenhausen genehmigt hatte, bekam der Bürgermeister im Gegenzug den erwünschten Industriebetrieb im Wolfratshauser Forst. Um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, lief das Ganze zunächst unter dem Namen „Schokoladenfabrik“.


Dem aufwändigen Genehmigungsverfahren und der Finanzierung ist ein weiteres Kapitel gewidmet – „informationslastig und nicht leicht zu lesen“, räumt Walter ein. Eine Zeittafel am Ende des Hefts gibt einen Überblick über die Produktionszeit, die Stilllegung und Demontage der Werke nach Kriegsende sowie die Anfänge der Vertriebenenstadt Geretsried bis 1975. Im Einzelnen werden sich die weiteren Hefte, die im halbjährlichen Abstand bis 2019 erscheinen sollen, mit diesen Themen befassen.


Bürgermeister Michael Müller bedankte sich nach Walters Vortrag für das großartige Engagement der ehrenamtlichen AHG-Mitglieder: „Diese Hefte sind Fenster in die Vergangenheit. Sie helfen uns, noch Vieles in und über Geretsried zu entdecken“.

70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges will der Arbeitskreis Historisches Geretsried (AHG) eine umfassende Dokumentation über die beiden Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst erstellen. Vergleichbare Städte in Bayern und Deutschland, die auf dem Boden von ehemaligen Munitionswerken entstanden sind, haben bereits in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten solche Arbeiten erstellt. Ein solches Buch soll jetzt auch in Geretsried verwirklicht werden. Die Mitglieder des AHG bringen ihre Motivation für das große Projekt auf den Punkt: „Wenn wir es jetzt nicht machen, wer soll es später dann noch tun?“.
Gleichzeitig zur Arbeit an der Dokumentation will der AHG in verschiedenen Vorträgen einzelne Kapitel in der Öffentlichkeit präsentieren. Den Anfang machte jüngst Martin Walter, profunder Kenner der Geretsrieder Geschichte, mit seinem Vortrag: „Aufbau der beiden Rüstungswerke auf dem Boden des heutigen Geretsried, Finanzierung und Gründe zur Ansiedlung im Wolfratshauser Forst.“
Anhand einer Grafik gelang es dem Referenten den rund 100 Zuhörern in der Mensa des Gymnasiums anschaulich darzustellen, wie trickreich die Nazis vorgegangen sind, um sich aus den Fesseln des Versailler Vertrages zu lösen und die massive Aufrüstung in Deutschland vor der deutschen Bevölkerung und den Regierungen der europäischen Nachbarn geheim zu halten. Das Oberkommando des Heeres (OKH) beauftragte die Dynamit Aktiengesellschaft (DAG) die entsprechenden Werke zu planen und zu bauen. Die DAG wiederum übergab die Anlagen an die Montan, die sie an die Verwertchemie, einer Tochtergesellschaft der DAG, verpachtete. Die Verwertchemie produzierte die Sprengstoffe und Munition und verkaufte sie schließlich an das OKH. Nach diesem sogenannten „Montanviereck“ oder „Rüstungsviereck“ wurde das Werk Tal I in Gartenberg errichtet.

Nach dem gleichen Schema wurde das Werk Tal II südlich der Tattenkofener Straße gebaut, statt der DAG wurde hier die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG (WASAG) aktiv, statt der Verwertchemie produzierte hier die Deutsche Sprengchemie (DSC) die Munition. Mit Hilfe einer zweiten Grafik konnte Martin Walter die komplizierte Finanzierung der Rüstungswerke darstellen, die nicht über Bargeld erfolgte, sondern durch die Ausgabe von Schuldscheinen. Die Metallurgische Forschungsgesellschaft (MeFo) gab die Schuldscheine heraus für die die Deutsche Reichsbank die Bürgschaft übernahm. Bei einem späteren wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland hätten die Schuldscheine später eingelöst werden können.

Am Beispiel der 4-Jahrespläne Hitlers zeigte der Referent die wirklichen Absichten Hitlers auf. Drei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler erklärte Hitler am 2. Febr. 1933: „Binnen vier Jahren muss die Arbeitslosigkeit beseitigt sein!“ Der zweite 4-Jahresplan von September 1936 wurde schon konkreter und gipfelte in zwei Forderungen: „Die deutsche Armee muss in 4 Jahren einsatzfähig sein! Die deutsche Wirtschaft muss in 4 Jahren kriegsfähig sein!“ Der dritte 4-Jahresplan von April 1937 wurde 1940 um vier Jahre verlängert. Bereits 1936 konnte niemand mehr an den Vorbereitungen für einen Angriffskrieg zweifeln.
Aufgelockert durch kleine Filmausschnitte konnte Martin Walter die damalige Nazipropaganda entlarven. Die Arbeitslosigkeit im Dritten Reich wurde nicht bekämpft durch friedliche Großprojekte wie Autobahnbau, Entwässerung von Mooren, Projekte des Wasserbaus oder andere Infrastrukturmaßnahmen, sondern durch Projekte der Rüstungsindustrie.
Im dritten Teil seines Vortrages legte der Referent dar, warum die beiden Munitionswerke in den Wolfratshauser Forst kamen. Am 11. März 1936 wurde Heinrich Jost von der NSDAP zum Bürgermeister von Wolfratshausen ernannt. November 1936 legte er seinen Wirtschaftsplan (Plan Jost) vor, in dem er eine aktive, friedliche Wirtschaftspolitik zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit betreiben wollte. Aus dem Titel der Denkschrift ist dies deutlich ablesbar: „Denkschrift der Marktgemeinde Wolfratshausen betreff Arbeitsbeschaffung und wirtschaftliche Belebung in Wolfratshausen“. Die übergeordneten Parteiorgane reagierten auf diese Schrift überhaupt nicht. Vielmehr hatte das OKH bereits im Mai 1936 den Wolfratshauser Forst ins Visier genommen, um dort Werke zur Rüstungsindustrie zu bauen. Einleuchtende Gründe sprachen für diesen Standort: Es gab Wald zur Tarnung, genügend Wasservorkommen, ein Fluss zur Ableitung der Abwässer, eine mögliche Verkehrsanbindung zur Isartalbahn, der benötigte Grund war zum größten Teil im Besitz des Staates. Bald kam ein Dr. Gritzbach, ein enger Mitarbeiter von Hermann Göring, nach Wolfratshausen und verpflichtete Jost zur absoluten Geheimhaltung der Pläne, die in Berlin geschmiedet wurden. Untergeordnete Stellen wurden zwar informiert, konnten ihre Einwände zwar formulieren, verhindern konnten sie absolut nichts. Auch das Staatliche Forstamt in Wolfratshausen konnte trotz aller Bemühungen von Amtsleiter Müller nichts ausrichten. Der Münchener Gauleiter Adolf Wagner, ein Günstling Hitlers erklärte damals: „Nicht die Gefühle und die Liebe zur Natur bestimmen hier, sondern die kalten Berechnungen auf dem Weg zu einem Krieg“. Die „Fabrik zur Verwertung chemischer Stoffe“ (Mutter: DAG) und die „Deutsche Sprengchemie“ (Mutter: WASAG) wurden ab 1937 geplant und gebaut. Vom Herbst 1940 bis zum Frühjahr 1945 wurden im Wolfratshauser Forst Sprengstoffe und Munition verschiedener Art produziert.

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